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Der Verfasser dieses Schreibens musste sich in der Tenovis bzw. der bisherigen Telenorma ausgesprochen gut auskennen. Es wurden so gut wie alle Bereiche, Funktionen und Produkte angesprochen und beurteilt. Mir war klar, dass die beiden vor mir stehenden Herren in ihrer kurzen Zeit im Unternehmen diese internen Kenntnisse nicht haben konnten.
Meine Ermittlungen konnten beginnen, blieben allerdings ziemlich bald schon stecken, weil selbst mit Unterstützung eines IT-Mitarbeiters der Laufweg des Schreibens über Fax und Mail nicht zu rekonstruieren war.
Der Inhalt befasste sich insbesondere mit Personen in leitenden Funktionen und es schien, als hätte der Verfasser sich einen neuen Organisationsplan für das Unternehmen Tenovis vorgenommen. Man musste ihn nur noch unters Volk bringen.
Ziemlich deckungsgleich mit den Anschuldigungen wurden diese Mitarbeiter, wenn ich mich recht erinnere, so ca.35 innerhalb kurzer Zeit aus ihren bisherigen Aufgaben herausgelöst bzw. bekamen andere Verwendungen.
Nachdem es seitens der GF keinerlei Nachfragen zum Stand der Ermittlung gab, keimte in mir ein Verdacht, dass ich eigentlich nur als Quelle für die schlechten Nachrichten hätte dienen sollen. Doch ich hatte meine Informationen für mich behalten, bis Wochen später im August 2000 im Mitteilungsblatt der IGM, Inform Vertrauensleute der Industriegewerkschaft Metall bei Tenovis das Thema aufgegriffen und das anonyme Schreiben teilweise zitiert wurde. Es war also offensichtlich jetzt dort, wo die GF die Informationen hingesteuert haben wollte.
Das Mail
Von: Fitzcaraido
Gesendet am: Dienstag, 18. Juli 2000 09:25
An: peter.zaboji@tenovis.com
Betreff: Gedanken
lesen Sie in aus: inform_2000_08_10.pdf auf Seite 3
sowie auch den folgenden Text
Betreff: Lieber Fitzcaraldo!
Sehr geehrter Herr Zaboji,
Seit heute morgen kursiert bei uns in der Abteilung eine Kopie einer anonymen Mail von „Fitzcaraldo„ an Sie. Da anonyme Mails scheinbar hoffähig geworden sind und zur Bewertung der Substanz des Dialogs mit den Mitarbeitern dienen - habe ich jede Scheu verloren und schreibe eben auch anonym. Aus der sicheren Deckung der Anonymität „Dreck schmeißen“ ist ganz offensichtlich ab sofort erlaubt und Teil des gewünschten Dialogs.
Ich möchte Ihnen darstellen, wie ich als einfacher Mitarbeiter die ganze Sache empfinde, aus meinem ganz persönlichen, subjektiven Blickwinkel: Warum schreibe ICH anonym? Ich kenne Sie nicht im Sinne eines persönlichen Gesprächs. Aus einer Happy hour, der Roadshow, der Betriebsversammlung, dem Portal (das finde ich übrigens recht gut, wobei das Entwicklungsportal eWord den Gedanken der WECHSELseitigen Kommunikation wesentlich besser umsetzt. Schauen Sie sich das doch mal an) und aus vielen Schilderungen von Kollegen, die mit Ihnen direkt zu tun haben oder Sie in Besprechungen erlebt haben. Und da kann ich nur einen Schluß daraus ziehen: wer Kritik üben will, hält sich besser zurück. Denn: wer nicht sofort laut beifallklatschend in den Chor der Jubler mit einstimmt, sondern versucht, Vor- und Nachteile abzuwägen, oder es gar wagt, Positives an etwas Bestehendem klar zu benennen, wird als ,ewig Gestriger' gebrandmarkt und in den Orkus verwiesen.
Aber ich habe noch zwei Kinder in der Ausbildung, bin schon älter, auf meinen Arbeitsplatz angewiesen und werde nicht die Chance haben, bei einem anderen Unternehmen neu zu beginnen. Deshalb anonym. Soweit sind wir in den letzten vier Monaten schon gekommen. Traurig, aber auch Teil Ihrer neuen Unternehmenskultur. Ich kann vieles von dem, was Fitzcaraldo ausführt, inhaltlich überhaupt nicht bewerten (z. B. 13, ICC, SAP). Fitzcaraldo muß, so habe ich den Eindruck, sehr, sehr viel Insiderwissen aus unterschiedlichsten Bereichen besitzen. Sind Sie sicher, daß Sie nicht SELBST Fitzcaraldo sind?
Wo ist in dem, was Fitzcaraldo schreibt, die von Ihnen gepriesene Substanz? Es sind im Kern doch nur völlig pauschalierende und undifferenzierte Aussagen, nach dem Motto: ALLES, was wir früher gemacht haben, war völlig falsch. Und zwar so falsch, daß es an sich jeder hätte sehen müssen. Entschuldigung, aber das ist völliger Unsinn! Ungeachtet dessen, daß in der Vergangenheit auch sehr schwere Fehler gemacht wurden. Wenn ALLES so schlecht gewesen ist, wenn die Entwicklung seit Jahren nur Flops geliefert hat: wie haben wir dann unsere gar nicht so schlechte Marktposition halten können? Diese PAUSCHALE Verdammung der Vergangenheit ist doch nur Teil der von Ihnen betriebenen Polarisierung.
Genauso Ihre Aussage auf der Betriebsversammlung (fast wörtlich): früher sind die MA gebückt über den Flur geschlichen, haben sich nicht gegrüßt. Das ist jetzt (sprich: seit dem ich, Zaboji, da bin) ganz anders.
Entschuldigung: in welcher Welt leben Sie eigentlich„? Völliger Quatsch, einfach lächerlich!
Oder: Tenovis wird WELTGESCHICHTE schreiben! Das zeugt doch schon von einem guten Stück Realitätsverlust… An derartig krassen Fehleinschätzungen sind Sie vielleicht nicht alleine Schuld. Der eigentliche Blick ins Intranet und Verfolgung der Geschehnisse verdeutlicht, daß sich - wie in der Politik bei einem Regierungswechsel - sofort eine Schar willfähriger Opportunisten einfindet, die Ihnen zu gefallen (siehe als typisches Beispiel den Besuchsbericht Belgien von Hr. Waardenburg: das ist doch lachhaft) - um daraus persönlichen Vorteil zu ziehen.
Und in Ihrem Club der Jubler und Jasager finden sich bekannte Leute wieder, die seit Jahren NICHTS, aber auch ganz nichts zustande gebracht haben. Und DIE sollen die Neuausrichtung managen? Da lachen ja die Hühner! Aber sie schreien im Moment einfach am lautesten - und haben auch alles im Nachhinein schon immer besser gewußt. Das kommt gut an. Traurig.
Zur ehemaligen Geschäftsleitung: Ich kenne die Herren nicht näher und kann auch nicht einschätzen, wer welche Verantwortung für etwas hat. Es kann sein, daß die Entlassung sachlich die richti¬ge Entscheidung wäre. Aber dann erwarte ich von einem CEO, daß er zusammen mit den Herren die entsprechenden personalen Lösungen herbeiführt - und NICHT, daß die Herren von Ihnen in arrogantester Art und Weise permanent vorgeführt und demontiert werden. Das, was Sie machen -auch und gerade mit der breitflächigen Verteilung der Fitzcaraldo-Mail - ist Mobbing der miesesten Art.
Und ich denke, man braucht kein Prophet sein, um zu erkennen, wie es in Zukunft weiter geht: alles Positive werden Sie als IHREN Erfolg verkaufen, alles Negative werden Sie als Spätfolgen der miesen Arbeit der ehemaligen Geschäftsleitung für sich selbst entschuldigen. Stimmt's? Na also!
Aber unterschätzen Sie dabei nicht die Masse der Mitarbeiter… Sie erzählen so viel von Untemehmenskultur, von Offenheit, von Dialog, von Teams. Was SIE in Ihrem absolutistischen, egozentrischen Weltbild vorleben, ist genau das krasse Gegenteil. Das hat nichts mit Offenheit und Dialog zu tun, Ihre Arbeitsweise ist soweit vom Teamgedanken entfernt, wie man es sich nur vorstellen kann. Etwa so weit entfernt wie die deutsche Fußballnationalmannschaft vom Europameistertitel, um es einmal ein wenig plastisch auszudrücken …
Eines haben Sie durch Ihr professionelles Mobbing wirklich geschafft: keiner traut sich mehr, zu widersprechen.
Aber ich kann Ihnen aus vielen Gesprächen in der Abteilung und in der Kantine versichern: sehr viele Kollegen schütteln nur noch den Kopf über Ihren Führungsstil, und es wird ganz offen darüber diskutiert, wo man sich derzeit gut bewerben kann. Auch den Personalberatern ist die Entwicklung seit Telenorma nicht verborgen geblieben, so daß sogar ich als einfacher Mitarbeiter seit Jahren wieder den ersten Anruf bekam.
Unter den „Abwanderungswilligen“ sind auch Schlüsselfiguren, die, wenn sie die Firma verlassen, eine ganze Anzahl MA mitziehen werden. Und das sind die jungen, dynamischen MA, von denen ich gerade spreche, die derzeit sehr gute Chancen am Arbeitsmarkt vorfinden. Machen Sie sich auf eine Kündigungswelle gefaßt -leider für Sie an den falschen Stellen.
Wenn Sie Mut haben, dann schicken Sie diese Mail ebenfalls als substanzieilen Diskussionsbeitrag eines Mitarbeiters an den Kreis, an den Sie auch die Fitzcaraldo-Mail geschickt haben. Robin 023744