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Neuauflage der Reichsfluchtsteuer ?

Edgar L. Gärtner

Jahr für Jahr kehren mehr als 200.000 Deutsche ihrer Heimat definitiv den Rücken. Überwiegend handelt es sich bei ihnen um höher qualifizierte Personen im besten Alter. Die Motive dieser Auswanderer können vielfältig sein: Bessere berufliche Entfaltungs- und Aufstiegschancen, bessere Verdienstmöglichkeiten, niedrigere Steuerbelastung, Heirat eines Ausländers bzw. einer Ausländerin und so weiter. Zu diesen klassischen Motiven kommen in jüngerer Zeit die Flucht von Unternehmern vor übertriebenen, wenn nicht irrationalen Umwelt-Auflagen und Technologie-Verboten und des damit angerichteten Chaos namens „Energiewende“ sowie die Flucht freiheitsliebender Menschen vor der Verengung des Korridors öffentlich aussprechbarer persönlicher Meinungen zu den Themen Klimaschutz und Corona-Impf-Erpressung. Doch wer die Schnauze voll hat von Grundrechtseinschränkungen, bürokratischem Kleingeist, Herdentrieb und Blockwart-Mentalität und deshalb einen Neustart in einem liberaler eingestellten Land anstrebt, der wird bald feststellen, dass er dem unerbittlichen Zugriff der einzigen Verwaltung, die in Deutschland noch einigermaßen funktioniert, nämlich der Finanzverwaltung, so leicht nicht entkommen kann.

Die Wegzugssteuer

Der Sozialstaat lässt seine Schäfchen nicht ungeschoren davonkommen. Denn er muss die Antisteuervermeidungs-Direktive (ATAD) der EU umsetzen. Das entsprechende am 30. Juni 2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlichte deutsche Gesetz, abgekürzt ATAD-UmsG, wurde zuletzt deutlich verschärft. Ab 1. Januar 2022 wird es nicht mehr möglich sein, die Wegzugssteuer unbefristet stunden zu lassen. Es gibt nur noch die Möglichkeit, die sofort fällige Wegzugssteuer auf Antrag über sieben Jahre ratenweise abzuzahlen, sofern der Steuerpflichtige dafür dem zuständigen Finanzamt eine Sicherheit überlässt. Nach dem deutschen Außersteuergesetz von 1973, im Volksmund „Lex Horten“ genannt, wird die Wegzugssteuer ab einer Kapitalbeteiligung von einem Prozent an einem Unternehmen fällig. Der Wegzug gilt dabei als fiktiver Verkauf der Unternehmensanteile (einschließlich der seit dem Kauf angehäuften stillen Reserven). Die Höhe der Wegzugssteuer richtet sich nach dem persönlichen Einkommenssteuersatz des Steuerpflichtigen.
Unternehmer und Kapitaleigner unterliegen nach der neuen Fassung des ATAD-UmsG der Wegzugsbesteuerung nicht nur bei der Auswanderung in ein Drittland, sondern auch bei einem Wohnsitzwechsel innerhalb der EU. Fachanwälte halten insbesondere die Verpflichtung einer Sicherheitsleistung für hoch problematisch, denn Unternehmensanteile werden nicht als Sicherheiten akzeptiert. Sollte der Steuerpflichtige in Deutschland nicht über Immobilien, Bundesschatzbriefe oder Sichteinlagen verfügen, deren Wert vom Finanzamt als hinreichend anerkannt wird, kann die Wegzugssteuer auch beim Umzug innerhalb der EU sofort fällig werden. Das kann Mittelständlern ernste Liquiditätsprobleme bescheren. Überdies führen künftig auch Gewinnausschüttungen oder Einlagen-Rückzahlungen von über 25 Prozent des Geschäftsanteils des Steuerpflichtigen zur sofortigen Fälligkeit der Wegzugssteuer. Das kann nach Ansicht von Wirtschaftsanwälten zum „Einsperren von Vermögen“ in Kapitalgesellschaften führen.

Die Reichsfluchtsteuer

Mich persönlich hat die aktuelle Verschärfung der Wegzugsbesteuerung zu einem kritischen Zeitpunkt unwillkürlich an die Ende 1931 erlassenen „Vierten (Not-)Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutz des inneren Friedens“ erinnert, die unter der offiziellen Kurzbezeichnung „Reichsfluchtsteuer“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Diese Steuer wurde zunächst allen Auswanderern abgeknöpft, deren Vermögen 200.000 Reichsmark überstieg oder deren Jahreseinkommen höher als 20.000 Reichsmark war. Der Steuersatz betrug 25 Prozent des Vermögens des Steuerpflichtigen. Die Reichsfluchtsteuer sollte zunächst nur ein Jahr lang erhoben werden. Doch unter der kurzlebigen Schleicher-Regierung wurde die Gültigkeit der Notverordnung um zwei Jahre verlängert. Vor 1933 bescherte diese Steuer dem Staat allerdings nur wenig Einnahmen, denn während der Weltwirtschaftskrise gab es kaum Anreize zum Auswandern, da die Lage fast überall gleich schlecht war.

Dann kam Hitler an die Macht. Die Nazis benutzten die von ihnen nicht erfundene Reichsfluchtsteuer gezielt zur Ausplünderung jüdischer Auswanderer, denen schließlich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs kaum mehr als das Taschengeld blieb. Bis zur berüchtigten Wannsee-Konferenz im Januar 1942 war es offiziell nicht das Ziel der Nazis, die Juden zu vernichten, sondern sie aus Europa zu verjagen. In der Anfangsphase des Dritten Reiches schlossen sie sogar einen Pakt mit der zionistischen Bewegung, in dem sie sich als Gegenleistung für die Aufhebung eines Wirtschaftsboykotts verpflichteten, Zigtausende Juden bei der Ansiedlung in Palästina zu unterstützen (nachzulesen bei Edwin Black: „The Transfer Agreement“, Washington, 1983-2009). Später verlegten sie sich darauf, die Juden mithilfe von antisemitischer Hetze, Drohungen und Pogromen aus dem Land zu treiben – und vorher abzukassieren.

Im Mai 1934 wurde die Vermögensgrenze durch das „Gesetz über die Änderung der Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer“ auf 50.000 Reichsmark herabgesetzt. Waren vor Hitlers Machtergreifung über die Reichsfluchtsteuer nicht einmal eine Million Reichsmark in die Staatskasse gelangt, so stieg das Aufkommen in den Folgejahren fast exponentiell. Bank- und Wertpapierguthaben der Juden wurden auf Sperrkonten übertragen und konnten, wenn überhaupt, nur gegen hohe Abschläge ins Ausland überwiesen werden. Insgesamt nahm der NS-Staat über die Reichsfluchtsteuer fast eine Milliarde Reichsmark ein, was damals viel Geld war. Als besonders fies erwies sich das Verbot, auswandernden Steuerpflichtigen Unterstützungszahlungen zukommen zu lassen.

Das Schicksal des „Juden-Konzerns“ T&N

Ich selbst stieß auf dieses Verbot, als ich vor etlichen Jahren von der Frankfurter Firma TENOVIS den Auftrag erhielt, die Geschichte des „Juden-Konzerns“ Telefonbau und Normalzeit (T&N) zu recherchieren. T&N hatte am Ende seiner Geschichte mit der AEG zusammengehen müssen und wäre beinahe mit dieser untergegangen. Gerettet wurden seine lebensfähigen Überbleibsel zunächst vom befreundeten Bosch-Konzern. Doch das Geschäftsmodell der Telekommunikationsfirma passte mit dem des Automobilzulieferers nicht zusammen. Deshalb sprang die als „Heuschrecke“ geschmähte New Yorker Private Equity Firma KKR (Kohlberg Kravis Roberts & Co.) ein und machte aus der Bosch Telecom GmbH vorübergehend die TENOVIS GmbH. Nur der Geschäftsbereich Sicherheitstechnik blieb bei Bosch. (KKR wurde in Deutschland erst im Jahre 2020 weithin bekannt, als sie die Mehrheit am Axel Springer Verlag erwarb.) TENOVIS-Chef Péter Záboji „sanierte“ das Unternehmen durch starken Personalabbau und veräußerte es dann im Auftrag von KKR an den europäischen Ableger des US-IT-Konzerns AVAYA, einen Nachfolger der AT&T.

Péter Záboji und mit ihm das z.T. jüdische Management von KKR beauftragten mich herauszufinden, wie es der von Hitler so genannte „Juden-Konzern“ T&N schaffte, die Nazi-Herrschaft zu überleben und warum dessen Geschäftsmodell so erfolgreich war. (Hier und hier zwei meiner vor etwa 20 Jahren für eine Pressemappe erstellten historischen Beiträge.) Die Geschichte der T&N, die gegen Ende der 1920er Jahre zu den führenden europäischen Unternehmen für Telekommunikations-Dienstleistungen zählte, begann ganz klein im Jahre 1899. In diesem Jahr gründete Harry Fuld, Sohn eines jüdischen Kunst- und Antiquitätenhändlers, als gerade 20-Jähriger in Frankfurt am Main zusammen mit dem Uhrmachermeister Carl Lehner die Deutsche Privat Telephon Gesellschaft H. Fuld & Co., ein Unternehmen zur Vermietung und Wartung von Haustelefonanlagen. Da das bescheidene Startkapital der Firma keine großen Sprünge zuließ, entschied sich Fuld für das in den USA erfundene Geschäftsmodell des Franchising und wurde dadurch in Europa zum Pionier. Der wirtschaftliche Erfolg gab ihm recht. Den selbständig und flexibel operierenden 100 Franchisingpartner-Gesellschaften des „Fuld-Konzerns“ gelang es, erfolgreich gegen den behäbigen Siemens-Konzern zu konkurrieren. Fuld starb im Januar 1932 auf einer Geschäftsreise im Züricher Hotel Baur au Lac. So blieb ihm erspart, was die Nazis ab 1933 aus seiner Firma zu machen versuchten.

Die Firma erhielt den Namen Telefonbau und Normalzeit Lehner & Co. erst 1937, als ihre schon 1933 begonnene „Arisierung“ abgeschlossen war. Ab 1935 mussten alle jüdischen Gesellschafter und fast 1500 Mitarbeiter jüdischer Herkunft das Unternehmen verlassen. Ein Teil von ihnen, darunter auch die beiden Söhne Fulds, suchte Zuflucht in der Schweiz, in Großbritannien oder in den USA. Die verbliebenen „arischen“ Mitglieder des Managements versuchten, ihren ausgewanderten und zum Teil Not leidenden Kollegen auf mehr oder weniger krummen Wegen Unterstützungszahlungen zukommen zu lassen und gerieten dabei in Konflikt mit dem Gesetz über die Reichsfluchtsteuer. Noch im Jahre 1937 wurde Fulds und Lehners „rechte Hand“, die als Lesbe und Frauenrechtlerin bekannte Meta Gadesmann, beim Verschieben von Geldern in die Schweiz ertappt. Damit hatte sie jüdischen Freunden bei der Existenzgründung helfen wollen. Meta Gadesmann kam dafür ins Gefängnis. Doch mächtige Wirtschaftsbosse verhalfen ihr zunächst zur Haft-Erleichterung und später sogar zur Freilassung. Der damals schon 81-jährige Robert Bosch, der Harry Fuld und seinem Konzern im Pioniergeist verbunden geblieben war, erwirkte sogar, dass Meta Gadesmann mit ihrer Geliebten zusammengelegt wurde. Robert Bosch, der politisch liberal eingestellte autoritäre Patriarch, konnte sich gegenüber den Nazis einiges rausnehmen, weil Hitler ihn brauchte, da nun mal ohne Bosch-Zündkerzen nichts lief (nachzulesen bei Joachim Scholtyseck: „Robert Bosch und der liberale Widerstand gegen Hitler 1933-1945“, München, 1999).

Währenddessen eröffnete das Berliner Finanzministerium gegen T&N ein Verfahren wegen Steuer- und Devisenvergehen. Dieses zielte darauf ab, T&N durch die willkürliche Aufblähung von Steuerschulden in finanzielle Schieflage zu bringen und dadurch die Aktionäre zu veranlassen, ihre Firmenanteile an die Reichspost abzutreten. Für die bis dahin gesund dastehende Firma wurde die finanzielle Lage immer prekärer. Schließlich retteten im Jahre 1941 die Industriellen Julius und Hans Thyssen das angeschlagene Unternehmen mit einer kräftigen Kapitalspritze. Der 1941 als Komplementär und Leiter der Geschäftsführung bei T&N eingetretene Thyssen-Mann Friedrich Sperl blieb bis Ende 1965 an der Spitze des Unternehmens. Vorsitzender des Beirates (Aufsichtsrates) der T&N war übrigens der auch mit dem Bosch-Konzern eng verbundene Carl Goerdeler, den die Verschwörer vom 20. Juli 1944 zum neuen Reichskanzler machen wollten. Nach dem Fehlschlag des Hitler-Attentats durch Graf von Stauffenberg wurde Goerdeler verhaftet, gefoltert und in Plötzensee aufgehängt. Nur das nahende Ende des Dritten Reiches bewahrte T&N vor weiteren Repressalien der Nazis.

Die dramatische Geschichte des deutschen IT-Konzerns T&N erklärt, warum mich die neuerliche Verschärfung der Wegzugsbesteuerung in Alarmstimmung versetzt. Statt des Judensterns droht nun der fehlende Impfpass zum wichtigsten Auswanderungsgrund zu werden. Ich pflege übrigens im Rahmen des Geschichtsvereins Informationstechnik e.V. (www.GVIT.de) noch immer Kontakte zu ehemaligen T&N-Managern. Alle haben einen amerikanischen Pass.

tn_allgemein/zeitlos/firmengeschichte/literatur/reichsfluchtsteuer.1633023610.txt.gz · Zuletzt geändert: 30.09.2021 17:40 von hagenmaier